Inspiration

Schweigen und Schreiben mit Doris (1)


Soll nichts für Feiglinge sein.

Ich bin jetzt seit knapp zwei Stunden hier und will eigentlich so schnell wie möglich wieder weg. Mit mir kam eine Gruppe weisshaarigen Frauen, die alle Hochdeutsch sprechen, die Rigi-Bahn hoch. Wahrscheinlich hat das mit dem “Star” des Retreats zu tun. Doris Dörrie, die berühmte Deutsche Filmemacherin und Autorin leitet ein Seminar an. Der Titel “Wer bin ich, wenn niemand zuschaut.” Oder so ähnlich. Es geht ums Schreiben und ums Meditieren. Die Warteliste ist lang, nur die mit etwas Glück haben einen Platz gekriegt. Ich hatte mich ein Jahr zuvor angemeldet, ohne die Ausschreibung genauer zu studieren. Hauptsache schreiben mit Doris. Dass Mediation auch dazu gehört, war klar, schliesslich ist die Stiftung Felsentor ein spirituelles Zentrum und Doris Dörrie beschreibt in ihrem Buch “Leben, Schreiben, Atmen” wie Meditation zu ihren Praktiken gehört.

Ich sitze im Mini-Zimmer im 3. Stock, alleine, aber auch nur, weil jemand unverhofft krank wurde und es unmöglich war, das leere Bett mit jemandem aus der Warteliste rechtzeitig zu besetzen. Die Betten sind schmal, die Decke schräg, das Fenster zeigt zum Berg. Wenn ich hinten rausschaue, sehe ich den mächtigen Felsen, der dem Ort den Namen gegeben hat: Felsentor. Die “Hausregeln” liegen auf dem schlichten Schreibtisch. Handys sollen nur draussen im Garten genutzt werden. Gerade erst habe ich realisiert, dass dies ein “Haus der Stille” ist. Alle Tätigkeiten geschehen im Schweigen. Nachtruhe ab 21 Uhr. Tagwache 6 Uhr, Frühstück um 8, davor eine Stunde Meditation. Jetzt weiss ich, warum bei der Reception ein Schild steht “Schweigen ist nichts für Feiglinge.” Es kommt mir vor, als ob ich mich freiwillig in ein Zwangslager begeben habe. So wie Julia Roberts in “Eat, Pray, Love”, als sie die Böden des Ashrams von Hand auf den Knien schrubbt. Was tue ich hier?

So schnell gebe ich nicht auf. Das Retreat beginnt um 18 Uhr im Zendo (japanische Mediationshalle) mit einer Einweisung durch die erfahrene Mediationslehrerin Beate Stolte. Rund 30 Leute sitzen auf ihren Meditationskissen und lauschen ihren Erklärungen. Mir tut schon nach 20 Minuten der Rücken weh. Wie soll das gehen, morgens um 6.30 Uhr? Eine Stunde sitzen ohne Kaffee, direkt aus dem Bett? Ich habe ein schlechtes Gewissen. So viel Wohlstands-Wehwehchen. Schliesslich bin ich freiwillig hier. Beate leitet das Seminar zusammen mit Doris Dörrie. Die kommt aber erst in zwei Tagen. Vorher werden wir auf Stille und Innenschau getrimmt. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Schweigend schreiben.

In meiner Vorstellung ist Doris Dörrie von Anfang an dabei. Der Tag sieht so aus: morgens so ungefähr 30 Minuten Mediation, dann etwas Theorie, los mit Schreiben, in Gruppen oder alleine. Die Aufträge sind klar, der Austausch interessant, die Mittagessen anregend, weil viele spannende Menschen hier sind und ich wahnsinnig neugierig auf all die Lebensgeschichten bin. Am Nachmittag wieder Schreiben, abends sitzen wir draussen in Grüppchen und philosophieren über unsere Schreib-Weisen. Dazu vielleicht sogar ein Glas Wein. In der Realität hocke ich auf dem Zimmer, schicke verbotenerweise Whatapp-Nachrichten in die Aussenwelt, weiss nicht, was mit der Zeit anfangen und bemitleide mich selbst. Zum Glück habe ich schwarze Schokolade hereingeschmuggelt.

Beate verbringt sechs Monate im Jahr in Meditation und Stille. Ich frage mich, wie das geht. Wer kauft ein, wer kocht, putzt? Alles sie alleine und das noch schweigend? Und was tun die anderen hier? Was suchen sie? Was suche ich? Welche Sehnsucht hat uns hierher gebracht? Wir sitzen mit Gesicht gegen die Wand. Es ist eine von vielen Mediationsminuten, in denen mein Geist abschweift, anstatt leer oder beim Atem zu sein.

Zuschauen, was hochkommt, ist die Aufgabe. Gedanken sind nicht endlos, sie haben einen Anfang und ein Ende. Sagt Beate. Ich befinde mich gerade in einer Endlosschlaufe. Es ist ja nicht so, dass ich erst seit gestern meditiere. Schweigen ist mir auch sympathisch. Die Aussicht auf fünf Tage ohne zu reden, ist hingegen nicht berauschend. Unerhört sind meine Gedanken. Es regnet.

Die Gehmeditation gleicht einer Ekstase. In der frischen Morgenluft auf der Terrasse des wunderschönen Zendo im Uhrzeigersinn herum gehen. Arme im 90-Grad-Winkel vor der Brust verschränkt, im Entengang und in Einerreihe. Langsam und bedächtig. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Beate geht vor. Der Abstand sollte immer gleich bleiben. Mir gefällt die Bewegung. Sie ist eine Wohltat für meinen verspannten Rücken und die tauben Beine. Das erste Mal ein Glücksgefühl, seit ich hier bin. Also doch bleiben? Ich konzentriere mich auf meine Vorgängerin. Schon wieder hält sie den Abstand nicht ein, keift eine innere Stimme in mir. Mein Magen knurrt. Zuerst einmal Frühstücken, dann weiterschauen. Ich gebe mir bis heute Abend. Dann entscheide ich, ob ich bleibe. Das Schweigen aushalte. Nur mit mir zu sein.

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