Körper-Bewusstsein

Unglück und Yoga


Nach einem wenig erfüllten Arbeitstag komme ich zuhause an und fühle mich erst einmal… ich brauche einen Moment, um herauszufinden, wie ich mich eigentlich fühle. Leer kommt dem Gefühl am nächsten. Leer, gefangen, verloren. Was ich an diesem Tag erledigt habe, war nicht gerade sinnstiftend. Zuhause wartet jetzt der ganz normale Alltag auf mich – Geschirrspüler ausräumen, Post holen, Abendessen kochen, mit den Kindern die Aufgaben checken. Routine halt.

Viel lieber hätte ich aber Gesellschaft gehabt, um dieses Gefühl der Leere etwas verflüchtigen zu lassen. Oder es zumindest jemandem mitzuteilen. Geht nicht. Meine Tochter ist noch unterwegs mit einer Freundin, mein Sohn im Zimmer, vergnügt am Gamen.

Also setze ich mich zuerst einmal auf meine Yogamatte. Lasse die Küche so sein, wie sie gerade ist. Lege mich auf den Rücken und wippe in der «Happy-Baby-Pose» etwas seitwärts hin und her. Strecke die Beine aus und bewege mich in die sitzende Vorwärtsbeuge. Atme. Hmm. Immer noch nicht viel besser. In meinen Finger juckt es schon, um eine SMS zu versenden. Um mein «Leersein» zu teilen. Lasse es dann doch sein und mache weiter ein paar Asanas. Nach zirka zehn Minuten bin ich etwas im Körper angekommen. Mein Blick fällt auf das kleine Buch, das mir gestern in der Bibliothek in die Hände gefallen ist:

«Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist.»
von Wilhelm Schmid.

Obwohl ich mich eigentlich nicht mehr gerne mit «Ratgebern» ab-und umgebe, habe ich Schmids kurze Abhandlung trotzdem ausgeliehen. Schmid ist Philosoph und kein Ratgeberautor. Ich mache es mir auf dem Sofa gemütlich und beginne zu lesen. Über die unterschiedlichen Arten von Glück – dem Zufallsglück, dem Wohlfühlglück und dem Glück der Fülle. Schmid schreibt klar und verständlich. Erklärt, wie unsere heutige Gesellschaft das Wohlfühlglück zur Maxime erkoren hat. Wie es verpönt ist, auch einmal «nicht so gut drauf zu sein» und man diesen Zustand so schnell wie möglich wieder wegmachen will. Mitten in der Lektüre halte ich inne. Ich fühle mich ertappt. Stimmt. Ich will mich nicht so fühlen, wie ich mich gerade fühle. Deshalb mache ich dann solche Sachen wie Yoga. Oder ich gehe aus, trinke ein Glas Wein, suche Gesellschaft. Das entspannt und danach fühle ich mich besser. Ich sinniere weiter – also mache ich Yoga nur, weil ich mich damit besser fühlen will?? Himmel. Yoga als Schmerzmittel. Interessante Überlegung.

Ich tippe eine SMS zur Ablenkung des unangenehmen Gedankens und fühle mich wieder ertappt. Kann ich mein Unglücklichsein nicht einfach aushalten? Gehört es nicht einfach auch zum Leben? Wie schwierig ist es wirklich, der «Tristesse» etwas Platz einzugestehen? Ich sitze vor mich hin und mache nichts. Lese dann etwas weiter. Überlege wieder, ob es wirklich so erstrebenswert ist, sich immer glücklich fühlen zu wollen.

Komisch. Nach einer Weile fühle ich mich ruhiger. Die Worte von Schmid haben mich besänftigt. Ich darf mich auch einmal leer fühlen. Oder verloren. Oder traurig. Wie erlösend!
Ps: Yoga mache ich übrigens auch, wenn es mir gut geht. Meine Bedenken bezüglich Yoga als Medikament gegen meine Unfähigkeit, Unangenehmes auszuhalten, sind also unbegründet. Bin ich froh.http://www.lebenskunstphilosophie.de/

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